Mietrecht Urteile 2017 |
13.07.2017
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einer Entscheidung vom 10. Mai 2017 erneut mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter wirksam ist (Az.: VIII ZR 292/15).
Die Beklagten sind seit dem Jahr 1996 Mieter einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung, die sie vom Rechtsvorgänger des Klägers angemietet haben. Das Hausgrundstück, das im Jahr 2014 vom Kläger erworben wurde, ist außerdem mit einer Scheune und einem Nebengebäude bebaut. Nach der Darstellung des Klägers sind sämtliche Gebäude sanierungsbedürftig.
Der Kläger ist zugleich an einer Gesellschaft (GmbH) beteiligt, die Trägerin vielfältiger Einrichtungen mit umfassender medizinischer, sozialer, pädagogischer und rehabilitativer Betreuung ist. Diese beabsichtigt, die Gebäude unter Nutzung von Fördermitteln und ohne finanzielle Belastung für den Kläger im Rahmen eines "Arbeits- und Lebensprojekts" zu sanieren und umzubauen.
Dabei sollen im bisherigen Mehrfamilienhaus und in der Scheune psychosoziale Wohngruppen mit insgesamt 23 Wohnplätzen und im Nebengebäude eine Tischlerei und Grünholzwerkstatt untergebracht werden. Der Kläger möchte das Grundstück zur Verwirklichung dieses Projekts an die Gesellschaft vermieten.
Mit Schreiben vom 1. August 2013 kündigte der Kläger das Mietverhältnis mit den Beklagten und begründete dies damit, dass andernfalls das geplante Arbeits- und Lebensprojekt nicht realisiert werden könne. Denn die Zahlung eines Investitionszuschusses sei unabdingbar mit der Schaffung der Wohnplätze auch im Wohngebäude verbunden. Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten geltend, ein Kündigungsgrund liege nicht vor.
Der BGH hat entschieden, dass die streitgegenständliche Kündigung unwirksam ist, weil weder der vom Kläger geltend gemachte Kündigungstatbestand der Verwertungskündigung vorliegt noch ein berechtigtes Interesse gegeben ist. Der Kläger würde durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses mit den Beklagten keinen Nachteil "von einigem Gewicht" erleiden. Dem Erlangungswunsch des Vermieters kommt kein Vorrang vor dem Bestandinteresse des Mieters zu.
Der vom Kläger zusätzlich benannte Kündigungstatbestand der Verwertungskündigung setzt voraus, dass der Vermieter durch den Fortbestand des Mietverhältnisses an einer Realisierung des dem Grundstück innewohnenden materiellen Werts, was in erster Linie durch Vermietung und Veräußerung geschieht, gehindert ist. Nach eigenen Angaben hegt der Kläger jedoch überhaupt nicht die Erwartung, durch die Vermietung des Grundstücks an die Gesellschaft höhere Mieteinnahmen zu erzielen, sondern verfolgt vielmehr die Absicht, das Anwesen der gewerblichen Nutzung zur Umsetzung eines sozialpolitisch erwünschten Zwecks zuzuführen. Damit schied schon mangels wirtschaftlicher Verwertungsabsicht eine Verwertungskündigung aus.
Bei Anwendung der danach allein noch in Betracht kommenden Generalklausel verlangt das Gesetz eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten sich dabei.
Die im Gesetz typisierten Regeltatbestände geben allerdings einen ersten Anhalt für die erforderliche Interessenbewertung und -abwägung. Die für die Anerkennung eines berechtigten Interesses erforderliche Gewichtigkeit der geltend gemachten Belange ist zunächst davon abhängig, mit welchem Regeltatbestand das geltend gemachte Interesse am ehesten vergleichbar ist.
Ausgehend von diesen Grundsätzen reicht es in den Fällen, in denen das vom Vermieter geltend gemachte Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses eine größere Nähe zum Eigenbedarfstatbestand aufweist, regelmäßig aus, dass die Vorenthaltung der Mieträume für den Vermieter einen beachtenswerten Nachteil begründet. Ist das angeführte Interesse dagegen mehr mit dem Fall der wirtschaftlichen Verwertung vergleichbar, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, der je nach Fallgestaltung auch die Intensität eines erheblichen Nachteils erfordern kann.
Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht gegeben. Dabei kann letztlich sogar offen bleiben, ob sich der Kläger als privater Vermieter überhaupt auf die Gemeinnützigkeit des von der Gesellschaft (GmbH) verfolgten Projekts berufen kann. In diesem Fall wäre sein Interesse zwar (auch) darauf gerichtet, psychosoziale Wohngruppenplätze einzurichten, also am Ende die Mietwohnung aus Gründen der Gemeinnützigkeit wiederum Wohnzwecken (einschließlich einer umfassenden Betreuung) zuzuführen.
Insofern bleibt der personale Einschlag des Nutzungsinteresses jedoch deutlich hinter dem der Eigenbedarfskündigung zurück. Daneben verfolgt der Kläger auch (signifikante) wirtschaftliche Interessen. Zwar strebt er nicht die Erzielung höherer Mieten an, er will aber eigene Aufwendungen für die erforderlichen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen ersparen, indem er das Grundstück der Gesellschaft zur Verwirklichung des von dieser geplanten Projekts zur gewerblichen Nutzung überlässt. Außerdem ist er als Gesellschafter an einem möglichen Gewinn beteiligt.
Insgesamt weist die vom Kläger geltend gemachte Interessenlage damit eine größere Nähe zur Verwertungskündigung auf, so dass für die Annahme eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses erforderlich ist, dass der Vermieter durch die Vorenthaltung der Mieträume einen Nachteil von einigem Gewicht erleidet. Diese Schwelle erreichen die vom Kläger aufgeführten Gründe jedoch nicht. Insbesondere gefährdet die Fortsetzung des Mietverhältnisses die Finanzierung und Verwirklichung des Gesamtprojekts nicht, sondern führt lediglich dazu, dass drei von insgesamt dreiundzwanzig geplanten Wohngruppenplätzen nicht geschaffen werden können.
(Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 10.05.2017)