Wirtschaftsrecht Urteile 2017 |
15.06.2017
Außerhalb der durch das Grundgesetz (GG) vorgegebenen Kompetenzordnung haben Bund und Länder kein Steuererfindungsrecht. Da sich die Kernbrennstoffsteuer nicht dem Typus der Verbrauchsteuer zuordnen lässt, fehlte dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG). Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 13. April 2017 entschieden und das KernbrStG rückwirkend für nichtig erklärt (Az.: 2 BvL 6/13).
Kernbrennstoff, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wurde, unterlag nach dem KernbrStG der Besteuerung. Das KernbrStG sollte Besteuerungsvorgänge erfassen, bei denen die sich selbsttragende Kettenreaktion vor dem 1. Januar 2017 ausgelöst wurde. Bei der Steuer handelte es sich nach Auffassung des Gesetzgebers um eine ''Verbrauchsteuer im Sinn der Abgabenordnung''.
Steuerschuldner waren die Betreiber von Kernkraftwerken. Die Steuereinnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer betrugen für den Bundeshaushalt in den Jahren 2011 bis 2016 insgesamt 6,285 Milliarden Euro. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens setzte im Jahr 2011 in den Reaktor eines von ihr betriebenen Kernkraftwerks neue Brennelemente ein, löste eine sich selbsttragende Kettenreaktion aus und führte nach entsprechender Steueranmeldung einen Steuerbetrag in Höhe von rund 96 Millionen Euro ab. Daraufhin erhob sie Klage gegen die Steueranmeldung.
Die Finanzverfassung des GG ist Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung. Sie bildet eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung und ist auf Formenklarheit und Formenbindung angelegt. Der strikten Beachtung der finanzverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern kommt eine überragende Bedeutung für die Stabilität der bundesstaatlichen Verfassung zu. Über ihre Ordnungsfunktion hinaus entfaltet die Finanzverfassung eine Schutz- und Begrenzungsfunktion, die es dem einfachen Gesetzgeber untersagt, die ihm gesetzten Grenzen zu überschreiten.
Neue Steuern sind auf ihre Kongruenz mit den aus hergebrachter Sicht typusprägenden Merkmalen der Einzelsteuerbegriffe des GG zu prüfen. Entsprechen sie nicht allen Typusmerkmalen einer Einzelsteuer, sind Bedeutung und Gewicht der einzelnen Merkmale sowie der Grad an Abweichung zu bestimmen und danach in eine Gesamtwertung einzubeziehen. Auf dieser Grundlage ist zu entscheiden, ob im Ergebnis eine Übereinstimmung mit dem Typus anzunehmen ist.
Innerhalb der vorgegebenen Typusbegriffe steht es dem Gesetzgeber offen, neue Steuern zu ''erfinden'' und bestehende Steuergesetze zu verändern. Die Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an Bund und Länder ist abschließend. Der einfache Gesetzgeber darf nur solche Steuern einführen, deren Ertrag dem Bund, den Ländern oder Bund und Ländern gemeinschaftlich zugewiesen wird. Ein freies Steuererfindungsrecht kommt weder dem Bund noch den Ländern zu.
Hierfür spricht insbesondere, dass ansonsten die Ertragshoheit für diese Steuern offen bliebe. Das GG enthält keine Regelungen über die Ertragshoheit für nicht aufgeführte Steuerarten. Um die Ertragshoheit für ''frei schwebende Steuererträge'' einer (nachträglichen) Regelung zuzuführen, bliebe nur der Weg einer Ergänzung des GG im Wege des verfassungsändernden Gesetzes.
Allerdings steht es dem einfachen Gesetzgeber nicht zu, den Katalog (mittelbar) zu erweitern, indem er den verfassungsändernden Gesetzgeber in die Situation bringt, im Anschluss an die einfachgesetzliche Einführung einer neuen Steuer die Verfassungslage entsprechend anpassen und die Ertragshoheit im Nachgang regeln zu müssen. Jede Unsicherheit bei der Zuordnung von Erträgen kann zu erheblichen Verwerfungen innerhalb der Finanzverfassung führen, ihrer Befriedungsfunktion widersprechen und ihr Ziel, ''unnötige Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern'' zu vermeiden, verfehlen.
Die Geschlossenheit und Ordnungsfunktion der Finanzverfassung sichert zudem das Vertrauen der Bürger darauf, nur in dem durch die Finanzverfassung vorgegebenen Rahmen belastet zu werden. Der Schutz der Bürger vor einer unübersehbaren Vielzahl von Steuern ist ein originärer und eigenständiger Zweck der Kompetenznormen der Finanzverfassung, mit dem die Annahme eines Steuererfindungsrechts nicht in Einklang zu bringen wäre.
Eines allgemeinen Steuererfindungsrechts des Bundes bedarf es auch nicht, damit er über ein Instrumentarium verfügt, um ein Steuererfindungsrecht der Länder entsprechend einzuhegen, weil bereits ein solches allgemeines Steuererfindungsrecht der Länder nicht gegeben ist. Die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung entfaltet ihre Wirkung auch in Bezug auf landesrechtliche Regelungen.
Die Kernbrennstoffsteuer ist eine Steuer im finanzverfassungsrechtlichen Sinne, denn sie ist ohne individuelle Gegenleistung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs erhoben worden. Sie entspricht aber nicht dem Typus der Verbrauchsteuer. Der Begriff der Verbrauchsteuer im Sinne des traditionellen deutschen Steuerrechts umfasst zwar nicht nur Steuern auf Güter des letzten Verbrauchs, d.h. die Belastung des Verbrauchs im privaten Haushalt, sondern betrifft auch den produktiven Bereich. Die Verbrauchsteuern sind aber von den Unternehmensteuern abzugrenzen. Die Trennlinie ist bei der Anknüpfung an den Gewinn der Unternehmer einerseits und der Anknüpfung an die Einkommensverwendung der Endverbraucher andererseits zu ziehen.
Diese Unterscheidung zwischen (privater) Einkommensverwendung und (unternehmerischer) Einkommenserzielung ist für das finanzverfassungsrechtliche Verteilungsgefüge von grundsätzlicher Bedeutung. Verbrauchsteuern sind im Regelfall indirekte Steuern. Sie werden zwar auf der Ebene des Verteilers oder Herstellers des verbrauchsteuerbaren Gutes erhoben. Steuerschuldner und Steuerträger sind jedoch nicht identisch.
Vielmehr ist die Steuer auf eine Abwälzung auf den Endverbraucher angelegt, mit der Folge, dass die Unternehmer als Steuerschuldner von der Steuerlast wirtschaftlich ent- und die privaten Verbraucher als Steuerträger wirtschaftlich belastet werden. Verbrauchsteuern sollen die in der Einkommens- und Vermögensverwendung zu Tage tretende steuerliche Leistungsfähigkeit des Endverbrauchers abschöpfen.
Der Typus einer Verbrauchsteuer erfordert ferner den Verbrauch eines Gutes, das der Befriedigung eines ständigen privaten Bedarfs dient. Der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl der Steuergegenstände ist insoweit typusbedingt eingeschränkt. Dabei kommt es nicht auf einen tatsächlichen Verbrauch an, sondern darauf, ob der Besteuerungsgegenstand zum Verbrauch bestimmt ist. Schließlich setzen Verbrauchsteuern regelmäßig den Übergang des Verbrauchsgutes aus einem steuerlichen Nexus in den steuerlich nicht gebundenen allgemeinen Wirtschaftsverkehr voraus, ohne aber im Tatbestand beide Seiten, insbesondere beide Vertragspartner, zu erfassen.
Der Typus der Verbrauchsteuern umfasst danach solche Steuern, die nach ihrem Regelungskonzept den Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs durch den privaten Endverbraucher belasten sollen und auf Grund eines äußerlich erkennbaren Vorgangs von demjenigen als Steuerschuldner erhoben werden, in dessen Sphäre sich der Vorgang verwirklicht. Nach diesen Maßstäben ist die Kernbrennstoffsteuer keine Verbrauchsteuer. Die gebotene Gesamtbetrachtung führt zu dem Ergebnis, dass sie bereits das zentrale Typusmerkmal einer Besteuerung der privaten Einkommensverwendung nicht erfüllt und aufgrund der Besteuerung eines reinen Produktionsmittels typusfremd ist.
Die Gesetzesmaterialien über die Einführung der Kernbrennstoffsteuer sprechen gegen eine Zielsetzung des Gesetzgebers, für die Besteuerung an die Einkommensverwendung der privaten Verbraucher anzuknüpfen. Er geht in der Gesetzesbegründung nicht von einer Steigerung der Stromkosten aus, da nach seiner Auffassung eine ''Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten nur in geringem Umfang möglich sein wird''.
Auch die Annahme des Gesetzgebers, die Unternehmen würden durch die Kernbrennstoffsteuer mit ''bis zu 2,3 Milliarden Euro'' belastet werden, weist in dieselbe Richtung. Diese Summe ist identisch mit dem damals kalkulierten Steueraufkommen. Aus den weiteren Gesetzesmaterialien ergibt sich nichts anderes, insbesondere nicht aus dem Hinweis, die vollständige Abwälzung der Steuerlast sei ''[g]rundsätzlich [...] möglich''. Dies wird durch die eigene Feststellung des Gesetzgebers, eine Abwälzung werde im maßgeblichen Regelfall nicht gelingen, widerlegt. Wäre eine Belastung der Verbraucher gewollt gewesen, hätte es zudem nahe gelegen, dafür an die mit den Kernbrennstoffen produzierte und an die Verbraucher abgegebene Strommenge statt an das Einsetzen der Brennelemente oder -stäbe in einen Kernreaktor und das Auslösen einer sich selbsttragenden Kettenreaktion und damit einen Vorgang weit außerhalb der Sphäre der Verbraucher anzuknüpfen.
Im Falle der Besteuerung eines reinen Produktionsmittels, das sich nicht im Endverbrauchsgut körperlich wiederfindet, hat die Abgrenzung zwischen der Besteuerung der privaten Einkommensverwendung der Endverbraucher und der Besteuerung unternehmerischer Tätigkeit entscheidende Bedeutung für den Verbrauchsteuertypus. Trotz des gebotenen weiten Verständnisses bei der Bestimmung der Einzelsteuerbegriffe kommt demgegenüber den Gesichtspunkten, dass die Kernbrennstoffe bei ihrem Einsatz wirtschaftlich aufgezehrt und damit im Sinne des Verbrauchsteuerbegriffs ''verbraucht'' werden und dass es nicht zum Typus von Verbrauchsteuern gehört, allein Genussmittel zu besteuern, kein ausreichendes Gewicht zu, um dennoch eine Verbrauchsteuer annehmen zu können.
Der Verstoß des KernbrStG gegen das GG führt vorliegend zur Nichtigerklärung des Gesetzes. Zwar kann die Notwendigkeit einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung es gebieten, von einer Rückwirkung der Entscheidung abzusehen. Die Notwendigkeit einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung kann allerdings nur Geltung beanspruchen, wenn der Gesetzgeber sich auf seine Finanz- und Haushaltsplanung verlassen durfte. Dies war im Hinblick auf die von Anfang an mit erheblichen finanzverfassungsrechtlichen Unsicherheiten belastete Kernbrennstoffsteuer nicht der Fall.
(Quelle: PM des BVerfG)