Wirtschaftsrecht Urteile 2018 |
20.09.2018
Die Vermarktung von SIM-Karten, die kostenpflichtige vorinstallierte und -aktivierte Dienste enthalten, stellt eine aggressive unlautere Geschäftspraxis dar, wenn der Verbraucher zuvor nicht entsprechend aufgeklärt wurde. Solch ein Verhalten stellt insbesondere eine ''Lieferung unbestellter Waren oder Dienstleistungen'' dar, das von einer anderen nationalen Behörde sanktioniert werden kann als der, die im Unionsrecht auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation vorgesehen ist.
2012 verhängte die Italienische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (AGCM) Geldbußen gegen zwei Telefonunternehmen, da diese Unternehmen SIM-Karten (Subscriber Identity Module) vermarktet hatten, auf denen Internetzugangs- und Mailbox-Dienste vorinstalliert und -aktiviert waren, deren Kosten dem Benutzer in Rechnung gestellt wurden, wenn er nicht ausdrücklich ihre Abschaltung verlangt hatte.
Die AGCM warf den beiden Unternehmen vor, die Verbraucher nicht zuvor angemessen darüber informiert zu haben, dass diese Dienste vorinstalliert und -aktiviert sowie kostenpflichtig waren. Die Dienste für den Internetzugang konnten sogar, u. a. durch sog. ''Always-on'' (ständig verbunden)-Anwendungen, vom Nutzer unbemerkt zu Verbindungen führen. Das von den Unternehmen angerufene Verwaltungsgericht für die Region Lazio erklärte die Entscheidungen der AGCM für nichtig und stellte fest, für die Sanktionen sei eine andere Behörde, die Kommunikationsregulierungsbehörde (AGCom), zuständig.
Der italienische Staatsrat entschied zunächst, nach italienischem Recht liege die Zuständigkeit für die Sanktionierung einer einfachen Verletzung der Informationspflicht auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation bei der AGCom, wohingegen für die Sanktionierung einer ''unter allen Umständen aggressiven Geschäftspraktik'' (wie insbesondere die ''Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung'') - einschließlich auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation - die AGCM zuständig sei.
Der Staatsrat stellt allerdings in Frage, ob die vorgenommene Auslegung mit Unionsrecht vereinbar ist. Deshalb hat er entschieden, Vorabentscheidungsfragen zu stellen, und zwar zur Auslegung zum einen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (deren Ziel die Gewährleistung eines hohen Schutzes aller Verbraucher ist) und zum anderen des Unionsrechts auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation (insbesondere der Rahmenrichtlinie und der Universaldienstrichtlinie, die die Verfügbarkeit hochwertiger, öffentlich zugänglicher Dienste durch wirksamen Wettbewerb und Angebotsvielfalt gewährleisten sollen, indem die nationalen Regulierungsbehörden (NRB) - in Italien die AGCom - mit der Aufgabe betraut werden, eine hohes Verbraucherschutzniveau speziell auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten).
Insbesondere möchte der Staatsrat vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wissen, ob das fragliche Verhalten der Telefonanbieter als ''Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung'' oder allgemeiner als ''aggressive Geschäftspraxis'' im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eingeordnet werden kann und ob das Unionsrecht auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die ''Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung'' unter die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken fällt, so dass die NRB für die Sanktionierung eines solches Verhaltens nicht zuständig ist.
Mit seinem Urteil vom 13. September 2018 stellt der EuGH fest, dass die Inanspruchnahme eines Dienstes eine freie Entscheidung des Verbrauchers darstellen muss (Az.: C-54/17 und C-55/17). Wurde der Verbraucher jedoch weder über die Kosten der Dienste noch über ihre Vorinstallation und -aktivierung auf der von ihm gekauften SIM-Karte aufgeklärt, dann beruht die Erbringung dieser Dienste nicht auf seiner freien Entscheidung. Insoweit ist es unerheblich, dass für die Benutzung der Dienste in bestimmten Fällen möglicherweise eine bewusste Handlung des Verbrauchers notwendig war. Auch ist es unerheblich, wenn der Verbraucher die Möglichkeit hatte, diese Dienste abschalten zu lassen oder selbst abzuschalten, da er zuvor nicht über darüber aufgeklärt wurde, dass es diese Dienste gibt.
Der EuGH stellt fest, dass es nicht offensichtlich ist, dass der durchschnittliche Käufer einer SIM-Karte sich dessen bewusst wäre, dass sie vorinstallierte und -aktivierte Dienste enthält, die zusätzliche Kosten verursachen können, oder dessen, dass Anwendungen oder das Gerät selbst sich von ihm unbemerkt mit dem Internet verbinden können, noch, dass er über ausreichendes technisches Können verfügen würde, um diese Dienste oder automatischen Verbindungen auf seinem Gerät abzuschalten.
Der EuGH kommt deshalb zum Ergebnis ein Verhalten wie das den betreffenden Telefonanbietern vorgeworfene die ''Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung'' und somit nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eine unter allen Umständen unlautere Praktik darstellt. Außerdem stellt der EuGH fest, dass im Hinblick auf die Rechte der Endnutzer die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht mit der Universaldienstrichtlinie kollidiert. Letztere legt den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste nämlich die Pflicht auf, im Vertrag bestimmte Informationen mitzuteilen, während erstere besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken wie die ''Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung'' regelt.
Somit steht das Unionsrecht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die ''Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung'' am Maßstab der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu prüfen ist, so dass nach ihren Regelungen die NRB im Sinne der Rahmenrichtlinie für die Sanktionierung eines solchen Verhaltens nicht zuständig ist.
(Quelle: PM des EuGH)