Mietrecht Urteile 2016 |
17.11.2016
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seiner Entscheidung vom 9. November 2016 mit der Frage befasst, ob schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters im Einzelfall zur Folge haben können, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung trotz einer erheblichen Pflichtverletzung des Mieters nicht gegeben ist (Az.: VIII ZR 73/16).
Die 97-jährige Beklagte zu 1 hat - zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann - im Jahr 1955 von den Rechtsvorgängern der Klägerin eine Dreizimmerwohnung in München und im Jahr 1963 zusätzlich eine in demselben Gebäude und Stockwerk gelegene Einzimmerwohnung angemietet. Die (bettlägerige) Beklagte zu 1 bewohnt die Dreizimmerwohnung und steht seit einigen Jahren aufgrund einer Demenzerkrankung unter Betreuung.
Der Beklagte zu 2 bewohnt seit dem Jahr 2000 die Einzimmerwohnung. Seit dem Jahr 2007 ist er Betreuer der Beklagten zu 1 und pflegt sie ganztägig. Im Jahr 2015 äußerte der Beklagte zu 2 in mehreren Schreiben an die Hausverwaltung grobe Beleidigungen gegenüber der Klägerin. Die Klägerin sprach daraufhin die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus.
Das Landgericht (LG) hat der Räumungsklage stattgegeben. Bei derart groben Beleidigungen liege die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Mietvertrages für die Klägerin auf der Hand. Die von der Beklagten zu 1 vorgebrachten persönlichen Härtegründe könnten erst im Rahmen einer späteren Zwangsvollstreckung im Wege eines Vollstreckungsschutzantrags geprüft werden.
Der BGH hat in seiner Entscheidung unterstrichen, dass zu den bei der Gesamtabwägung einer erklärten fristlosen Kündigung zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls ohne weiteres auch schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters gehören.
Das Gesetz sehe eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien und eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vor. Die Abwägung auf bestimmte Gesichtspunkte zu beschränken und deren Berücksichtigung auf das Vollstreckungsverfahren zu verschieben, verbietet sich mithin bereits aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung.
Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte zudem verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.
Das kann bei der Gesamtabwägung zur Folge haben - was vom Gericht im Einzelfall zu prüfen ist -, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung wegen besonders schwerwiegender persönlicher Härtegründe auf Seiten des Mieters trotz seiner erheblichen Pflichtverletzung nicht vorliegt.
Das LG hätte insoweit dem Vortrag der Beklagten nachgehen müssen, wonach die Beklagte zu 1 auf die Betreuung durch den Beklagten zu 2 in ihrer bisherigen häuslichen Umgebung angewiesen und bei einem Wechsel der Betreuungsperson oder einem Umzug schwerstwiegende Gesundheitsschäden zu besorgen seien. Der BGH hat deshalb das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
(Quelle: PM des AG)