Wirtschaftsrecht Urteile 2016 |
25.08.2016
Mit Beschluss vom 19. Juli 2016 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die Preisgestaltung durch ein kommunales Freizeitbad richtete (Az.: 2 BvR 470/08).
Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich. Bei einem Besuch eines von mehreren Gemeinden und einem Landkreis betriebenen Freizeitbades im Berchtesgadener Land musste er den regulären Eintrittspreis entrichten, während den Einwohnern dieser Gemeinden ein Nachlass auf den regulären Eintrittspreis von etwa einem Drittel gewährt wurde.
Der Beschwerdeführer erhob Klage zum Amtsgericht (AG) und forderte wegen unzulässiger Benachteiligung die Rückzahlung des Differenzbetrags und die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den Eintritt künftig zu dem ermäßigten Entgelt zu gewähren. Das AG wies die Klage ab; die gegen das Urteil eingelegte Berufung war ebenfalls erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes und eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter durch Unterlassung einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in dem Grundrecht des allgemeinen Gleichheitssatzes. Das BVerfG überprüft die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts grundsätzlich nur darauf, ob sie willkürlich ist oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruht oder mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar ist. Die Annahme der Fachgerichte, die Grundrechte des Beschwerdeführers seien vorliegend nicht anwendbar oder jedenfalls nicht verletzt, lässt sich unter keinem Blickwinkel nachvollziehen.
Die unmittelbare Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte hängt weder von der Organisationsform ab noch von der Handlungsform. Das gilt auch dann, wenn der Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt auf privatrechtliche Organisationsformen zurückgreifen. In diesen Fällen trifft die Grundrechtsbindung nicht nur die dahinterstehende Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern auch unmittelbar die juristische Person des Privatrechts selbst. Unerheblich ist auch, ob die für den Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt handelnde Einheit spezifische Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, ob sie erwerbswirtschaftlich oder zur reinen Bedarfsdeckung tätig wird (fiskalisches Handeln) und welchen sonstigen Zweck sie verfolgt.
Vor diesem Hintergrund besteht an der unmittelbaren und uneingeschränkten Bindung der Beklagten des Ausgangsverfahrens an die Grundrechte kein Zweifel. Sie ist ein öffentliches Unternehmen, dessen einzige Gesellschafterin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die sich ihrerseits auf einen Landkreis und fünf Gemeinden stützt. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Auffassung der Fachgerichte im Ergebnis hinzunehmen sein könnte, weil die in Rede stehende Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre. Zwar ist es Gemeinden nicht von vornherein verwehrt, ihre Einwohner bevorzugt zu behandeln.
Die darin liegende Ungleichbehandlung Auswärtiger muss aber durch hinreichende Sachgründe gerechtfertigt sein. Verfolgt eine Gemeinde das Ziel, knappe Ressourcen auf den eigenen Aufgabenbereich zu beschränken, Gemeindeangehörigen einen Ausgleich für besondere Belastungen zu gewähren oder Auswärtige für einen erhöhten Aufwand in Anspruch zu nehmen, oder sollen die kulturellen und sozialen Belange der örtlichen Gemeinschaft dadurch gefördert und der kommunale Zusammenhalt dadurch gestärkt werden, dass Einheimischen besondere Vorteile gewährt werden, kann dies mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sein. Das Bad der Beklagten ist jedoch auf Überregionalität angelegt, soll Auswärtige ansprechen und gerade nicht kommunale Aufgaben im engeren Sinne erfüllen.
Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) verletzt den Beschwerdeführer auch in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter. Die nationalen Gerichte sind von Amts wegen gehalten, den EuGH anzurufen, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Sie verletzen das Recht auf den gesetzlichen Richter, wenn die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Das OLG hat seine Vorlagepflicht offensichtlich unhaltbar gehandhabt, weil es sich hinsichtlich des materiellen Unionsrechts nicht hinreichend kundig gemacht hat.
Dies gilt zunächst für den Umgang des OLG mit der Frage, ob die Beklagte als öffentliches Unternehmen unmittelbar an die Grundfreiheiten gebunden ist. Angesichts der Rechtsprechung des EuGH zur Bindungswirkung des Diskriminierungsverbots und der Grundfreiheiten für vom Staat beherrschte Unternehmen liegt die Annahme einer unmittelbaren Bindung der Beklagten an die in Rede stehenden Vorgaben des Unionsrechts nahe.
Ferner hat der EuGH zu Entgeltsystemen für die Nutzung kultureller Einrichtungen, die Gemeindeeinwohner bevorzugen, festgestellt, dass wirtschaftliche Ziele die darin liegende Beschränkung der Grundfreiheiten nicht rechtfertigen könnten und dass auch steuerrechtliche Gründe nur dann anzuerkennen seien, wenn ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Besteuerung und den Tarifvorteilen bestehe.
(Quelle: PM des BVerfG)