Familienrecht Urteile 2020 |
15.10.2020
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 8. Oktober 2020 entschieden, dass eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einer Kurklinik, die einen Schadensersatzanspruch für den Fall vorsieht, dass die Patientin einer Mutter-Kind-Kur diese vorzeitig abbricht, unwirksam ist (Az.: III ZR 80/20).
Die Beklagte ist Mutter von vier minderjährigen Kindern. Ihre gesetzliche Krankenversicherung bewilligte eine dreiwöchige medizinische Vorsorgemaßnahme in Form einer Mutter-Kind-Kur. Die Beklagte erhielt ein Einladungsschreiben der von der Klägerin betriebenen Klinik, dem die AGB beigefügt waren. Deren Nummer 5.4 lautet wie folgt: "Vorzeitige Abreise (Kündigung), Schadensersatz
5.4.1 Tritt die Patientin, ohne medizinisch nachgewiesene Notwendigkeit, die Abreise vor Beendigung der Maßnahme an, so kann der Einrichtungsträger Ersatz für den erlittenen Schaden verlangen. Der Ersatzanspruch ist unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und möglichen anderweitigen Verwendungen pauschaliert und beträgt 80 % des Tagessatzes für jeden vorzeitig abgereisten Tag. Es bleibt der Patientin unbenommen, den Nachweis zu führen, dass kein oder ein geringerer Schaden entstanden ist.
5.4.2 Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB bleibt hiervon unberührt."
Die Beklagte bestätigte durch ihre Unterschrift, die AGB der Klägerin erhalten zu haben und diese anzuerkennen. Beigefügte Fragebögen zur Vorbereitung der Therapie füllte sie aus und sandte sie - zusammen mit dem unterschriebenen Exemplar der AGB - an die Klägerin zurück. Die Beklagte trat die bis zum 21. März 2018 vorgesehene Kur am 28. Februar 2018 zusammen mit ihren vier Kindern an, brach sie jedoch zehn Tage vor dem regulären Ende aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, vorzeitig ab. Die Klägerin nahm die Beklagte daraufhin auf Schadensersatz in Höhe von 3.011,20 Euro in Anspruch.
Der BGH urteilte wie folgt: Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die verlangte Zahlung. Die Beklagte konnte die Kur durch konkludente Kündigung auch ohne besonderen Grund vorzeitig beenden, so dass die Klägerin nur Anspruch auf Vergütung der bis zum Abbruch erbrachten Leistungen hat. Zwischen der Klägerin und der Beklagten war ein Vertrag über die Durchführung einer Mutter-Kind-Kur zustande gekommen, der jedenfalls nach seinem inhaltlichen Schwerpunkt als Behandlungsvertrag und damit als besonderes Dienstverhältnis zu qualifizieren ist. Dieses unterliegt dem jederzeitigen Kündigungsrecht der Patientin, da die von der Klinik geschuldeten Leistungen Dienste höherer Art sind, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen.
Die von der gesetzlichen Regelung abweichende Nummer 5.4.1 der AGB der Klägerin ist unwirksam, weil sie mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung - dem "freien" und sanktionslosen Kündigungsrecht bei Diensten höherer Art, die auf besonderem Vertrauen beruhen - nicht zu vereinbaren ist. Überdies ist sie mit dem gesetzlichen Grundgedanken unvereinbar, nach dem vertragliche Schadensersatzansprüche eine zu vertretende Pflichtverletzung des Schuldners - hier der Patientin - voraussetzen. Eine Einschränkung auf diese Fälle sieht die Klausel aber nicht vor.
(Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 08.10.2020)